Einsichten eines politischen
Journalisten –
Theo Sommer: China First
Der Titel war natürlich bewusst gewählt: China First. Vor einem Jahr veröffentlichte der promivierte Politologe und Publizist Theo Sommer auf über 300 Seiten (plus Literatur und Register) seine Einsichten und Überlegungen zur weltpolitischen Rolle Chinas im 21. Jahrhundert. Vor dem Hintergrund zeithistorischer Entwicklungen des Landes werden in dem vom Verlag C.H.Beck herausgegebenen Band globalstrategische Projekte und Konzepte vorgestellt. Die Berichte und Kommentare dienen Sommer als Beleg für Chinas Weg zur Weltmacht, der bestimmt wird von der Konkurrenz zu den USA und der „America First“-Politik seines Präsidenten Donald Trump.
Der langjährige Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ versteht seine Veröffentlichung ausdrücklich als Aussagen eines Journalisten, der sich seit fast 60 Jahren mit Asien und Weltpolitik befasst hat, und nicht eines Sinologen. Da er nicht als Korrespondent oder Berichterstatter länger im Land gelebt hat, dienen ihm u. a. die eigenen Berichte und Begegnungen mit chinesischen Politikern zur Beurteilung politischer, sozialer und ökonomischer Entwicklungen der Volksrepublik als Grundlage.
Eine wichtige Chinaerfahrung war 1975: Sommer nahm als journalistische Begleitung von Helmut Schmidt an einem Staatsempfang mit Deng Xiaoping in Peking teil. In diesem Kontext entstand der Band „Die chinesische Karte“, in dem seine grundlegenden Überlegungen zur zukünftigen Bedeutung Chinas bereits angelegt waren. Angesicht der raschen globalen und innerchinesischen Entwicklungen sind weite Teile von Sommers jetzigen Ausführungen teilweise überholt. Dies liegt daran, dass der Autor zwar auf eine Fülle an Belegen wie Pressematerial, Berichte und Kommentare seiner Kollegen verweisen kann, diese Texte – wie seine eigenen – jedoch im aktuellen Zusammenhang entstanden sind. Viele der gesammelten Informationen sind bereits früher publiziert worden und in der nun veralteten Aussage wenig bedeutsam.
Sommers Text richtet sich
allerdings vorwiegend an ein
allgemein politisch interessiertes
Lesepublikum. So gewinnt die
Darstellung durch eine
„medienwirksame“ Sprache, die
komplexe Zusammenhänge durch
personalisierte Charakterisierungen
und persönliche Einschätzungen
belebt.
Dieser Ansatz führt zu der
ambivalenten Bedeutung des Bandes
„China First“, in dem der Autor
Chinas Entwicklung zur
wirtschaftlichen Weltmacht von der
Reformpolitik Deng Xiaopings bis
zur machtpolitischen Festigung
durch Xi Jinping verfolgt. Neben
kritischen Ausführungen zu
außenpolitischen Strategien
(Seidenstraßen-Projekt,
Gebietsansprüche) und
Spannungsfeldern (Taiwan, Indien,
Japan) sowie den innenpolitischen
Einschränkungen werden
Möglichkeiten einer
deutsch-chinesischen Zusammenarbeit
angesichts globaler
handelspolitischer
Auseinandersetzungen (Trump – Xi)
und geostrategischer Konflikte
diskutiert. Als Fazit zieht Theo
Sommer statt einer Politik des
„China First“ eine Zukunft, die von
dem Konzept „Together First“
geprägt sein sollte.
Dagmar Yu-Dembski

Theo
Sommer: China First –
Die Welt auf dem Weg ins
chinesische Jahrhundert
Verlag C.H.Beck (2020,
Taschenbuch-Ausgabe)
496 Seiten, 16,00 €